Abendrunde mit Ulf
ja, ja der Ulf.„Abendrunde mit Ulf“
Es war der erste Freitag im Monat, und das bedeutete: Zeit für das Treffen mit Ulf. Keine feste Regel, kein offizielles Ritual – aber ein verlässliches, stilles Abkommen zwischen zwei Freunden, das sich über die Jahre gehalten hatte. Mal in einer Kneipe, mal beim Spaziergang, diesmal in Sebians Wohnzimmer – mit Roggenbier, gutem Käse und Gesprächen, die sich meist irgendwo zwischen Genialität und Wahnsinn bewegten.
Ulf kam wie immer mit einem unerwarteten Gegenstand unter dem Arm – heute ein halb zerlegter Lautsprecher, den er "neu interpretieren" wollte.
„Du bist also jetzt Dorfadel,“ sagte er, nachdem er es sich auf dem alten Ledersessel gemütlich gemacht hatte.
„Ich nenn’s lieber geliehene Stille,“ erwiderte Sebian und reichte ihm das Bier.
Sie sprachen über die Arbeit – Sebian über seine Beratungstätigkeit, über das erste Projekt mit dem Metallbetrieb, über Monis Bodenständigkeit und Connies überraschendes Wiedersehen bei der Fortbildung. Ulf erzählte von einer geplatzten Crowdfunding-Aktion („Die Leute sind nicht bereit für selbstbewusste Toaster mit Selbstzweifel-Funktion.“), von einem Kurzfilmprojekt über Windrichtung als moralische Orientierung – und von einem Hacker-Kollektiv, das er „vielleicht“ mal kontaktiert hatte.
Die Gespräche sprangen, wie bei ihnen üblich, von Alltag zu abstrakten Konzepten: Vertrauen in Technologie, das Verhältnis von Zufall und Planung, die Frage, ob Geduld eine unterschätzte Form der Intelligenz sei.
Vom Keller, vom Gang, von der Lichtung – darüber sprach Sebian nichts.
Nicht aus Misstrauen, sondern aus Erfahrung. Ulf war ein brillanter Kopf, keine Frage – manchmal sogar eine Inspirationsquelle. Aber eben auch unberechenbar. Ideen, die bei ihm Wurzeln schlugen, blühten oft in unerwarteten Richtungen. Und manches, was vertraulich begann, endete als Metapher in seinem nächsten Essay oder Vortrag über „die verborgene Topologie des modernen Denkens.“
Doch Sebian erzählte von Freds eigenwilligem Wiedersehen, von Smy und dem Gespräch über Mikroben und Libellen, von Conni und der Erinnerung an alte Debattennächte. Ulf hörte zu, kommentierte pointiert, lachte schräg – und am Ende nickte er mit einem Blick, der zeigte: er verstand mehr, als er sagte.
„Du sammelst Geschichten,“ meinte er zum Abschied, während er seinen Lautsprecher unter den Arm klemmte. „Du weißt schon, dass du damit irgendwann was anfangen musst, oder?“
Sebian lächelte. „Vielleicht. Aber noch nicht jetzt.“
„Wenn du soweit bist – ich helf dir beim Chaos.“