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Das Haus am Hügel – Teil II: Wurzeln aus Licht

Der Onkel, oder auch nicht

„Das Haus am Hügel – Teil II: Wurzeln aus Licht“

Es ging schneller, als Sebian erwartet hatte. Kaum war er in Falkenried angekommen, wurde er Teil eines stillen Gefüges, das nicht in Tabellen passte. Die Menschen begrüßten ihn mit offener Neugier und einer Art ruhiger Herzlichkeit, die man in städtischen Empfangsräumen selten erlebt.

Nachbarschaft war hier kein Konzept, sondern Alltag. Frau Benesch aus dem Haus gegenüber brachte ihm nach drei Tagen hausgemachte Zwetschgenmarmelade mit dem Satz: „Falls Sie noch nicht zum Einkochen gekommen sind.“ Herr Lampert, der pensionierte Maschinenbauer, stellte ihm bei einem Glas Apfelmost Fragen über kollaborative Robotik, als hätte er selbst nie ganz aufgehört zu tüfteln.

Sebians Wissen und seine freundliche Art blieben nicht unbemerkt. Schon bald fragte man ihn beim Stammtisch der Dorfwirtschaft, ob er den lokalen Metallbetrieb beraten könnte – nicht offiziell, sondern so „unter uns“. Dort stand seit drei Jahren eine CNC-Fräse, die niemand wirklich verstand. Als Sebian in seiner ruhigen Art erklärte, wie man sie mit einfachen Schnittstellen ins digitale Produktionsnetz einbinden könne, war das halbe Dorf begeistert. Er wurde nicht als der „Computer-Mensch“ betrachtet, sondern als jemand, der zuhört, versteht – und bleibt.

Doch es war nicht nur die Technik, die ihn mit dem Ort verband. Es war die Stille am Morgen, das knirschende Holz unter seinen Füßen, das gemeinsame Jäten im Dorfgarten. Und es war Johannes – sein verstorbener Großonkel – dessen Geist durch das Haus zog wie ein flüchtiger Gedanke.

Sebian fragte oft nach ihm. Bei Kaffee, bei Spaziergängen, bei Gesprächen am Gartenzaun. Und immer hörte er dasselbe: „Ein guter Mann, aber verschlossen. Hat viel gelesen. Viel geschrieben auch, aber nie drüber geredet.“ Oder: „Johannes war wie der Nebel morgens – da, aber nicht ganz fassbar.“

Niemand sprach schlecht von ihm. Aber niemand konnte ihm die Nähe geben, die Sebian suchte. Als wäre Johannes nicht nur gestorben, sondern ein wenig entrückt — auf eine eigene kleine Insel, zu der die Brücke verschwunden war.

In der Werkstatt fand Sebian nichts Konkretes. Skizzen, halb fertige Apparate, Notizbücher mit Ideen und Beobachtungen, aber nichts Persönliches, keine Briefe, keine Fotos. Es war, als hätte sein Großonkel gewollt, dass das Haus spricht, nicht die Dinge darin.

Und so begann Sebian, sich selbst in diese Leere hineinzuschreiben. Er ergänzte die Regale mit seinen eigenen Plänen, vermerkte Gedanken in die freien Seiten alter Bücher. Er arbeitete im Dorf, sprach bei Versammlungen, pflanzte Lavendel im Garten.

Manchmal, wenn der Wind durch das Tal strich und die Apfelblüten tanzten, hatte Sebian das Gefühl, dass Johannes doch irgendwo war – nicht als Erinnerung, sondern als leiser Anstoß. Nicht greifbar, aber vielleicht gerade deshalb so wertvoll.